2024 war ich bei der Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz dabei. Wir haben verschiedene Orte, wie die neue Synagoge in Berlin, das Museum in der Schindler Fabrik in Krakau und Auschwitz 1 (das Stammlager) sowie Auschwitz-Birkenau besucht. Wir haben viele Vorträge gehört, uns wurden viele Geschichten erzählt und doch hat mich keine so berührt wie diese:
Dr. Mengele experimentierte mit Zwillingen, indem er die identischen Gene nutzte, um die Krankheitsbilder und ihre Auswirkungen zu untersuchen. Meist ließ er einen der Zwillinge mit einer beliebigen Krankheit erkranken und sobald die Krankheit ausgeprägt genug war, wurden beide Zwillinge getötet. Er untersuchte danach die Kinder, den Krankheitsverlauf und autopsierte sie.
Eva Mozes wurden bei ihrer Ankunft in Auschwitz wahrscheinlich Krankheitserreger verabreicht, denn bald wurde sie krank und Mengele wusste, dass sie nicht mehr lange leben würde. Doch ihre Schwester Miriam Mozes ließ immer etwas von ihrem wenigen Essen übrig, um es heimlich ihrer Schwester zu geben oder es heimlich gegen Medizin eintauschen zu können, die sie dann ihrer Schwester gab. Somit überlebte Eva die Krankheit und nachdem die beiden Schwestern im Januar 1945, wie viele Kinder und nicht marschfähige Menschen, nicht mit auf die Todesmärsche genommen wurden, wurden sie am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit.
Die beiden Schwestern haben sich danach ein Leben aufgebaut. Das war für beide nach den Erlebnissen in Auschwitz nicht leicht. Beide haben geheiratet und bekamen Kinder. Während einer Schwangerschaft bekam Miriam eine schwerwiegende Nierenerkrankung, was vermutlich eine Spätfolge der Versuche Mengeles war. 1987 spendete Eva ihr eine ihrer Nieren. Miriam Mozes Ziegler starb am 6. Juni 1993 an Nierenkrebs, ihre Schwester Eva Mozes Kor starb am 4. Juli 2019, während ihrer jährlichen Reise nach Polen.
Eva Kor nahm später eine versöhnliche aufgeschlossene Haltung gegenüber den NS-Tätern ein. Sie traf sich sogar mit einem noch lebenden SS-Lagerartz von Auschwitz-Birkenau und vergab ihm öffentlich bei einem gemeinsamen Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau.
Mich berührt die Geschichte so sehr, weil jeder weiß, wie sehr die Menschen in den Lagern von Auschwitz gelitten haben, auch an Hunger. Und doch zweigte Miriam von ihrem wenigen Essen etwas ab, um ihrer Schwester in dieser schweren Zeit das Überleben zu ermöglichen. Jahre später hilft Eva ihrer Schwester, indem sie ihr eine Niere spendet.
Das zeigt mir, wie stark das Band von Familie, von Geschwistern ist. Diese Aufopferungsbereitschaft, diesen Mut und diese Liebe habe ich durch das Bild gespürt, als uns in Auschwitz die Geschichte der beiden Schwestern erzählt wurde.
Auf den ersten Blick stimmte mich das Bild traurig. Ich hörte von Mengeles Versuchen und sah diese vielen Kinder, doch dann wurde auf die zwei Kinder im Vordergrund gezeigt. Auf Miriam und Eva. Uns wurde ihre Geschichte erzählt. Mit einem Mal sah ich dieses Bild ganz anders, immer, wenn ich auf die beiden Zwillinge sah, wurde mir warm. Der Gedanke an die Liebe der Zwillinge füreinander, ließ das Bild ganz anders wirken.
Immer wenn ich an Auschwitz und die Eindrücke, die ich dort kennenlernen durfte, denke, denke ich an das Leid, die Trauer, die Hoffnungslosigkeit der Menschen. Es graut mir davor, mir vorzustellen, wie sich die Menschen gefühlt haben müssen. Doch wenn ich jetzt daran denke, denke ich auch an die Geschichte der Schwestern. Ich sehe das Bild vor Augen, wie sie mit den anderen Kindern Auschwitz verlassen, zusammen. Mir wird dabei sofort ganz anders, ich bin berührt von ihrer Liebe und Aufopferungsbereitschaft.