Holocaust-Gedenktag am OGT 2018
„Unrecht ist wie Feuer. Ersticke es im Keim und es kann sich nicht ausbreiten!“ Mit dieser zentralen Botschaft hat am 1. Februar die Holocaustüberlebende Sara Atzmon in Begleitung ihres Mannes Uri Atzmon im Rahmen des Holocaustgedenktages zu uns gesprochen. Aus Israel angereist, schilderte Sara Atzmon uns in einem beinahe 90-minütigen Vortrag ihre Geschichte, ihr Schicksal zur Zeit des Nationalsozialismus.
Dass dies kein Einzelschicksal war, wurde bereits ganz am Anfang der Veranstaltung deutlich, als von sechs Schülern stellvertretend für die sechs Millionen ermordeten Juden sechs weiße Kerzen entzündet wurden. Es war ein Moment der Stille, ein besonderer Moment. Auch heute kann ich die Zahl sechs Millionen nicht greifen, zu unwirklich scheint sie mir.
Wenn ich nun, zwei Wochen danach, meine Mitschüler frage, was bei Ihnen am meisten hängen geblieben ist oder sie nach wie vor beschäftigt, so erzählt mir jeder eine andere Geschichte.
Auch ich denke mit unterschiedlichen Gefühlen an die Erzählungen von Frau Atzmon zurück.
Sie erzählte uns, wie sie mehrere Tage auf engstem Raum mit über hundert anderen Juden in einen Zugwaggon eingesperrt wurde. Sie besaßen einen Eimer, der den hundert Personen als gemeinsame Toilette dienen musste. Vor allem der Gestank war das, was noch lange nachwirkte, erzählte uns Frau Atzmon.
Fragen, ob man selbst dazu in der Lage wäre, so etwas auszuhalten, begleiteten viele von uns.
Etwas später zeigte sie uns zwei Schuhe. Einen roten Kinderschuh und einen schwarzen mit hohem Absatz. Es waren die Schuhe, die sie in der Zeit im Konzentrationslager Bergen-Belsen trug und mit denen sie manchmal bis zu sechs Stunden an Ort und Stelle stehen musste – im Winter. Wer sich bewegte oder zusammenbrach, wurde erschossen, so schilderte sie es uns.
Sechs Stunden… ein ganzer Schultag… sie war damals zwölf Jahre… für mich unvorstellbar.
Das, was ihnen in dieser Zeit zu essen serviert wurde, war teilweise auch Menschenfleisch, erfuhr Sara Atzmon später. „Man machte uns zu Kannibalen“, sagte sie.
Und trotzdem betonte sie mehrmals, dass Hass nur krank mache und sie daher früh lernte, trotz all der Erniedrigungen, die sie während dieser Zeit ertrug, keinen Hass zu empfinden.
Respekt und Mitgefühl waren die vorherrschenden Gefühle in der Aula, während sie über diese Dinge sprach.
Die über 80 jährige erzählte uns noch mehr, sprach vom Tod ihres Vaters und dem Versprechen, seine Knochen irgendwann nach Israel zu bringen, sobald die Möglichkeit dazu bestand. Man sah ein Lächeln in ihrem Gesicht, als sie auf die Frage eines Schülers, ob sie dies noch geschafft habe, mit „Ja!“ antworten konnte.
Sie erzählte uns auch von Nationalsozialisten, die ihnen während dieser Zeit halfen, ihnen Brot schenkten oder zehn jüdische Männer aus einem anderen Arbeitslager heranschafften, um die traditionelle jüdische Beerdigung ihres Vaters zu ermöglichen.
All diese Geschichten zeigen mir, dass sie trotz allem, was sie erlebte und durchmachen musste, doch Glück besaß – Glück im Unglück. Es zeigt mir, welche Kraft uns doch das Gefühl der Hoffnung geben kann.
Und es zeigt mir, dass auch wir, die Schüler des OGTs, Glück hatten. Glück, dass sich die Geschehnisse so aneinander reihten, wie sie es taten, denn ansonsten hätte uns Frau Atzmon nicht ihre Lebensgeschichte erzählen können. Wir hätten nicht die Gelegenheit gehabt zu fragen, ob sie je darüber nachgedacht habe, ihre Religion zu ihrem eigenen Schutz zu leugnen oder ob sie zu der damaligen Zeit und in ihrem Alter eigentlich das Ausmaß des Holocausts begriff.
Sie hätte uns keine ihrer Kunstwerke zeigen können, mithilfe derer sie ihre Gedanken und Gefühle zu verarbeiten versuchte. Schlussendlich hätte sie uns auch kein jüdisches Musikstück auf ihrer Mundharmonika vorspielen können, das die Veranstaltung harmonisch ausklingen ließ.
Und abschließend hätte sie uns nicht dazu auffordern können, als vielleicht letzte Generation, die noch Zeitzeugen persönlich treffen kann, die Geschichte lebendig zu halten und, wenn auch nur im Kleinen, mit dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht. Denn „Unrecht ist wie Feuer. Ersticke es im Keim und es kann sich nicht ausbreiten!“…
Jurik Lindemann, Q1c
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