Liebe Elsa Strawczynski,

ich schreibe dir diesen Brief, obwohl ich ganz genau weiß, dass Worte allein nicht ausreichen werden, um meine Emotionen widerzuspiegeln.
Deine Lebensgeschichte hat sich in mein Herz gebrannt und ich bewundere dich für deine unglaubliche Stärke als Frau, Mutter und Gattin, die du inmitten des Holocausts gezeigt hast.
David, dein Mann und du seid wahrlich bemerkenswert. Ich kann mir nicht annähernd vorstellen, wie es sich angefühlt haben muss, eure Söhne bei der Flucht nach Holland zurückgelassen zu haben, um sie vor der Einweisung in ein Konzentrationslager zu schützen. Das Unwissen darüber, ob jedes Wiedersehen mit euren Söhnen das letzte sein könnte — schrecklich.
Die Opfer, die du erbracht hast, die Zeit mit deinen Söhnen, allein, weil du eine Halbjüdin warst, zeigen, wie sehr dir deine Familie am Herzen lag.
In der Hoffnung auf ein besseres Leben seid ihr – du und David – nach Brüssel gezogen und konntet euch nach fast drei Jahren endlich wieder mit euren Söhnen vereinen, die nun schon erwachsen waren. Das Glück sollte allerdings nicht von langer Dauer sein, die Wiedervereinigung nahm bedauerlicherweise ein Ende, da Brüssel schon von Deutschland besetzt war. Ihr wurdet gemeinsam als Familie nach Auschwitz deportiert und du, liebe Elsa, hast aufgrund deines Geschlechts direkt nach der Ankunft dein Leben verloren.
In meinen Augen warst du eine Heldin, die ihre Widerstandsfähigkeit und Opferbereitschaft klar offenbart hat. Du warst ein Opfer des Holocausts, jedoch ist deine Geschichte ein Zeugnis für die Stärke des menschlichen Geistes und der bedingungslosen Liebe einer Mutter zu ihrer Familie. Dein Vermächtnis erinnert uns daran, die schrecklichen Konsequenzen von Hass niemals zu vergessen.
Es ist mir bewusst, dass es seltsam erscheinen mag, dass ich, eine privilegierte, 16-jährige Deutsche an ein Holocaust-Opfer schreibt, jedoch möchte ich dir eines versichern, ich werde deine Geschichte mit großer Ehrfurcht und Verantwortung tragen. Elsa, ich möchte, dass du weißt, dass deine Geschichte nicht in Vergessenheit geraten wird. Ich werde sie tief in meinem Herzen bewahren und weitergeben, denn die Welt darf nicht vergessen, was du und deine Familie und die unzähligen weiteren Juden in dieser furchtbaren Zeit durchgemacht habt.
Ich selbst stehe kurz vor einer Reise nach Auschwitz und es bricht mir das Herz zu wissen, dass du trotz deiner Bemühungen nicht vor den Grauen des Holocaust verschont werden konntest.
Während meiner Reise wirst du stets in meinen Gedanken sein, du erinnerst uns daran, wie wichtig es ist, gegen Hass und Intoleranz einzutreten, damit die Schrecken des Holocausts sich niemals wiederholen können.
Mögen deine Familie und du in Frieden ruhen und eure Geschichte in unserem Herzen weiterleben.
In Liebe und Respekt,


Anna Sophie, Q1

 

 

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