Gedenkstättenfahrt: Berlin – Auschwitz – Krakau 20. bis 27.09.2019

 

Die Fahrt begann in Berlin, wo wir uns im Allgemeinen mit dem jüdischen Leben vor dem Dritten Reich befassten. Dazu sahen wir uns zuerst eine Ausstellung mit dem Titel „Charterflug in die Vergangenheit – 50 Jahre Besuchsprogramm des Berliner Senats für NS-Verfolgte“ im Centrum Judaicum an. Die Ausstellung befindet sich in der ehemals größten Synagoge Deutschlands, die jedoch in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 entweiht und im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerstört wurde. Neben Informationen zum Thema Drittes Reich erwartete uns auch Neues zum Judentum im Allgemeinen. Der Tag wurde mit einem jüdischen Gottesdienst zum Beginn des Sabbats beendet.


Was besonders auffiel, waren die Kontrollen, die wir durchlaufen mussten, bevor wir die Synagoge betreten durften und die mit Flughafenkontrollen vergleichbar sind. Dies zeigt die Spuren, die der Antisemitismus heute noch hinterlässt. Auch, wenn es in kleineren Orten wie Timmendorfer Strand oder Ratekau kaum merklich ist, spielt die Judenfeindlichkeit leider auch heute noch eine Rolle in unserer Gesellschaft.

Tag zwei in der Hauptstadt begann mit einem Workshop im jüdischen Museum, der sich mit der Flucht der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus befasste. Die Architektur des Museums beabsichtigt durch schräge Böden und einengende Wände ein Unwohlsein bei dem Besucher hervorzurufen. In der Ausstellung werden verschiedene Wege dargestellt, die grundsätzlich das Thema Gehen und Bleiben von verfolgten Juden thematisieren. Wir konzentrierten uns hierbei auf das Thema Flucht aus Deutschland. Der Workshop begann mit der Frage, was Heimat für uns bedeutet. Somit wurde ein persönlicher Bezug zu uns hergestellt, der uns half, die Situation im Ansatz nachzuvollziehen. Wir arbeiteten zudem mit Dokumenten, um verschiedene Schicksale kennenzulernen. Ein besonderer Teil des Museums war ein Abschnitt im Freien, der dem Holocaust-Mahnmal nahe des Brandenburger Tors ähnelte: massive Betonblöcke, unebener Boden. Es ist fast unmöglich, durch das Stelenfeld des jüdischen Museums zu laufen. Der Versuch ähnelt mehr einem Taumeln. Es scheint, als könne man den unzerbrechlichen Betonklötzen nicht entkommen. Dieses unebene Stelenfeld soll das Gefühl der Flucht vermitteln: Die Heimat zu verlassen und in das Unbekannte zu fliehen, ohne zu wissen, was die Zukunft bringen könnte.

Der Nachmittag schloss die Lerneinheit Flucht mit dem Besuch der Ausstellung „Stille Helden“ ab. Hierbei wurden Menschen vorgestellt, die Juden versteckten und damit retteten. Das Risiko dabei war, verraten zu werden, womit man sich selbst in Gefahr bringen konnte. Jedoch waren viele dieser Versteckens-Aktionen erfolgreich. Das wohl bekannteste Beispiel für stille Helden stellt Oskar Schindler dar.

Am Sonntag fuhren wir in die polnische Kleinstadt Oswiecim – zu deutsch Auschwitz. In der nicht weit vom Stammlager entfernten Unterkunft bekamen wir zuerst eine Einführung von unserem Guide, der uns während der gesamten Fahrt mit Informationen versorgte.  Er erläuterte die Funktionen der verschiedenen Lagerabschnitte, stellte einzelne Biographien oder berührende Zitate vor, machte uns auf heute nahezu vergessene Orte, die im Dritten Reich eine wichtige Rolle spielten, aufmerksam und vieles mehr. Mit unserer Gruppe war er zum 25. Mal in Auschwitz und brachte somit jede Menge Wissen und Erfahrung mit und stand bei Fragen immer zur Verfügung.

Tag 1 in Auschwitz begann mit dem Besuch von Harmence, dem Ort eines Außenlagers, an dem Viehzucht betrieben wurde. Kaum vorstellbar, dass eine gewöhnliche Rasenfläche, angrenzend ein Spielplatz, einmal KZ-Gelände war. Die erste Führung des Tages beinhaltete außerdem einige fast in Vergessenheit geratene Orte wie eine SS-Kantine oder eine mittlerweile fast gewöhnliche Wohnsiedlung, wo nur durch die kasernenähnliche Architektur ansatzweise erkennbar ist, was einst an diesem Ort geschehen ist. Die Stimmung an diesen Orten zeigte sich durch ein irgendwie individuell empfundenes Unwohlsein und eine ungewöhnliche Stille in der Gruppe.


Am Nachmittag stand dann der Besuch des Stammlagers auf dem Plan. Das Stammlager Auschwitz I ist heute ein gut besuchtes staatliches Museum. Obwohl jeder schon oft Bilder des Lagers gesehen hatte, war das Gefühl, tatsächlich an diesem Ort zu sein, unfassbar bedrückend. Es sind Eindrücke, die mir schwerfallen, in Worten auszudrücken, die erst in Ruhe verarbeitet werden müssen. Die Ausstellungen, die wir uns ansahen, erstreckten sich vom Eingangstor über die Blöcke 5, 6, 7, 8 und 11, sowie eine israelische Ausstellung im Block 27 und das Krematorium I. Die Blöcke 5 und 6 befassen sich explizit mit der Vernichtung der Häftlinge. Ausgestellt sind Bilder, sowie Gegenstände der Opfer. Von Kleidung über Brillen, Prothesen, Kämmen und Geschirr bis hin zu riesigen Massen an menschlichen Haaren. Den Menschen wurde alles entrissen, nicht das geringste Eigentum war gestattet. All diese Dinge wurden im Deutschen Reich wiederverwendet – selbst die geschorenen Haare dienten zum Polstern von Möbeln und ähnlichem. Eine erschreckende Vorstellung.
Die Blöcke 7 und 8 behandeln das Leben im Lager: die Art, wie Häftlinge behandelt wurden, welchen Status sie hatten und womit sie Tag und Nacht zu kämpfen hatten. Der Keller des Blocks 11 birgt jedoch ganz neue Eindrücke. Es ist der Ort der ersten Experimente mit Zyklon B. Die engen Räume, in Kombination mit den zahlreichen Besuchern, schafften ein Gefühl der Klaustrophobie. Nach Verlassen des Kellers gingen wir zu der Erschießungswand, dem Ort, an dem zahlreiche Opfer ein grausam erschossen wurden. Es entstand ein Moment der Stille und des Gedenkens, der Versuch, die so surreal erscheinenden Bilder zu verarbeiten.

Die israelische Ausstellung in Block 27 befasste sich mit dem jüdischen Leben vor, während und nach der Lagerzeit. Durch den chronologischen Verlauf - der Zeit vor dem Dritten Reich, der Nazi-Propaganda, der Lagerzeit, die Situation der Überlebenden heute und dem Trauma, das sie begleitet - wird eine fesselnde Atmosphäre geschaffen. Die Ausstellung wurde mit einem Buch aller bekannten Namen der Opfer des Holocausts beendet. Die Liste wird noch immer aktualisiert.

Das Ende des Rundgangs bildeten die Gaskammer und das Krematorium. Durch diesen Teil der Ausstellung gingen wir schweigend, aus Respekt vor den vielen Opfern und um den Ort auf uns wirken zu lassen.

Am Abend gab es eine Reflexionsrunde, in der wir die Möglichkeit hatten, uns über das Gesehene und Erlebte auszutauschen. Nach dem offiziellen Ende der Gesprächsrunde diskutierte ein Teil der Gruppe noch bis halb 1 Uhr morgens.

Der nächste Tag begann mit der Besichtigung des Lagers Auschwitz II, sprich Birkenau. Dieser Abschnitt des Lagers ist von Vernichtung geprägt. An diesem Tag beschäftigten wir uns jedoch mit Birkenau als Arbeitslager. Verglichen mit dem Stammlager ist Birkenau nicht besonders gut erhalten. Es liegt an einem Waldrand und ist mittlerweile zu einem Biotop geworden. Je weiter man sich vom Eingangstor entfernt, desto vergessener wirkt das Lager. Über die Wege, die einst Wüste waren, ist Gras gewachsen. Gut erhalten sind das Frauenlager, der vordere Bereich des Männerlagers, eine Kinderbaracke eine Sanitärbaracke und der sogenannte Todesblock, welche in der Nähe des Eingang gelegen sind. Der Todesblock war von einer Mauer umzäunt und von jenen Häftlingen bewohnt, die ihr Leben bereits aufgegeben und dem Hospitalismus zum Opfer gefallen waren. Weniger ist vom Theresienstädter Familienlager, den Baracken des Sonderkommandos und dem „Zigeunerlager“ erhalten. Dort sind fast ausschließlich Ruinen zu sehen. Der nie fertiggestellte provisorische Lagerabschnitt Mexiko lässt sich nur durch verfallene Zaunpfähle erahnen. Es scheint, als mache sich Vergessenheit breit.

Am Nachmittag wurde dieser Eindruck in Monowitz verstärkt. Vom ehemaligen Lager Auschwitz III Monowitz ist kaum etwas übrig. Der Lagerabschnitt, der für die Produktion des Chemiekonzerns IG Farben errichtet wurde, ist heute ein kleines Dorf. Bis auf ein paar alte Luftschutzbunker in Gärten und eine kleine Gedenktafel mit christlichen Symbolen deutet nichts mehr auf das Konzentrationslager Monowitz hin.

Die Reflexion an diesem Abend stand unter dem Motto Täter. Diskutiert wurde über das Verhalten verschiedener Anhänger des Nationalsozialismus. Sowohl die aktiv beteiligten, als auch diejenigen, die „wegsahen“. Inwiefern machten sich die „Wegseher“ mitschuldig? Was hätten sie tun können?

Der letzte Tag in Auschwitz wurde dem Thema Birkenau als Vernichtungslager gewidmet. Wir begannen unseren Rundgang mit einem Fußmarsch durch den Wald und die Wiesen, an denen zu jener Zeit Massengräber errichtet wurden – dem größten Friedhof der Welt. Dieser Weg führte uns zu den ersten als solche gebaute Gaskammern, dem „Roten Haus“ und dem „Weißen Haus“. Wir besichtigten auch die Krematorien, den Lagerabschnitt Kanada, an dem die geraubten Wertgegenstände der Opfer gelagert wurden, sowie die Zentralsauna, das erste Ziel nach der Ankunft der zur Arbeit selektierten Häftlinge. Zum Abschluss des Rundgangs legten wir eine Pause zum stillen Gedenken an den Ruinen des Krematoriums V. ein, wobei jeder eine weiße Rose ablegte. Dies war für uns alle ein besonderer Moment. Am Nachmittag besuchten wir die Ausstellung des überlebenden Künstlers Marian Kolodziej in Harmence, durch die uns ein Franziskanermönch führte. Die Bilder des Künstlers beschrieben die Stimmung in den Lagern sehr gut, sowie das Trauma und die Erinnerungen, die ihn quälten. Sie zeigten die unvorstellbare Masse an Menschen, das unvorstellbare Leid. Besonders wurde dabei auf den christlichen Glauben eingegangen. Das wohl faszinierendste an den Bildern war die Darstellung der Augen und der Emotionen, die so detailliert zu erkennen waren.

Die darauf folgende Diskussion vor der Abreise aus Oswiecim befasste sich mit dem Thema „Was hat das mit mir zu tun?“. Dabei konzentrierten wir uns besonders auf Probleme, die die Welt heute bewegen. Beispielsweise der Klimawandel, der durch unsere Konsumgesellschaft hervorgerufen wurde oder Kinderarbeit, die von uns ignoriert wird, denn wichtiger ist uns, günstig Kleidung zu kaufen und so verschließen wir die Augen davor, wie unsere günstigen Modeartikel hergestellt wurden.
Am Abend reisten wir weiter nach Krakau. Der nächste Tag war streng durchgetaktet. Wir begannen mit einem Zeitzeugengespräch. Die Zeitzeugin wurde im Krakauer Ghetto geboren und verbrachte ihre Kindheit versteckt in einer christlichen Pflegefamilie. Ihr Vater arbeitete für Oskar Schindler, ihre Mutter versteckte sich. Ihre ganze Familie überlebte den Krieg.

Am Nachmittag sahen wir uns den Ghettoplatz, sowie den Ort des Konzentrationslagers Plaszow an. Bis auf einige Informationstafeln und Gedenkstätten mit christlichen Symbolen deutet kaum noch etwas auf die Vergangenheit des Ortes hin. Der heute noch aus Kieselsteinen bestehende Appellplatz ist vollständig mit Löwenzahn bewachsen.
Wir schlossen den Tag Programm mit einem koscheren Abendessen und Klezmermusik in einem jüdischen Restaurant ab.

Insgesamt war die Gedenkstättenfahrt eine prägende Erfahrung. Dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte zeigte sich für uns in einem ganz neuen Licht, da wir an den Orten waren, an denen all die schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten stattgefunden haben. Es ist etwas völlig Anderes, an den Orten zu verweilen, die so viel Leid für so viele Menschen bedeutet haben, als stumpf Jahreszahlen auswendig zu lernen.  Ich glaube, uns allen wurde klar, dass diese Zeit der Deutschen Geschichte – die Zeit des Holocausts - nie vergessen werden darf, damit sich solche Ereignisse nicht wiederholen. Dazu ist es wichtig, zu verstehen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Noch heute finden täglich judenfeindliche Angriffe statt, allein im Oktober diesen Jahres gab es 3 Anschläge oder versuchte Angriffe gegen Juden, die in den Medien erschienen. Dabei ist es die Aufgabe unserer Generation, die Erfahrungen der Überlebenden weiterzugeben und sie zu nutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Einem Ort, an dem jeder sein kann, wer er sein will, ohne dafür verurteilt zu werden. Doch dieses Ziel ist noch lange nicht erreicht und es liegt an jedem von uns, dazu beizutragen, dass Juden keine Angst vor Anfeindungen in unserem Land haben müssen.

Karina Wagner, Q1a

 

Zurück zur Übersicht