Die Auseinandersetzung mit den Tätern – und die vergessenen Kinder

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Nico Antonio Ahrens

Die Gedenkfahrt nach Auschwitz war wohl eine der bewegendsten Veranstaltungen, an denen ich die Ehre hatte, teilnehmen zu dürfen. Ich habe viele neue Eindrücke über Themengebiete erlangt, bei denen ich zugegebenermaßen dachte, dass ich schon alles wusste und nichts mehr dazu zu lernen hatte. Dem war nicht so.

 

 

Einer der Punkte, welcher mir am besten im Gedächtnis geblieben ist, ist die Perspektive, die zählt. Auch wenn man an den Verbrechen, welche damals begangen wurden, nichts beschönigen möchte und auch nichts beschönigen darf, so ist es dennoch wichtig, nicht zu vergessen, dass für die Täter all dies ein „normaler“ Job war, genau wie heute die Arbeit an der Kasse oder beim Bäcker. Es gab Urlaubstage, Prämien und am allerwichtigsten: es gab einen Feierabend. Und wie jeder andere Angestellte an einem Feierabend gingen auch die Wärter des KZ nach Hause. Dieses Zuhause lag meist noch in Hörweite manchmal sogar Sichtweite zum Lager. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass man nicht vergisst, dass auch die Täter, Menschen waren. Denn wenn wir diesen Punkt aus den Augen verlieren, fällt es uns nur zu leicht zu sagen, dass so etwas wie damals ja nie wieder passieren kann, da das damals ja keine Menschen waren. Aber es waren Menschen, die nach dem Krieg wieder in ihre alten Berufe zurückgingen, die liebende Familienväter waren und doch so eine dunkle Seite mit sich herumtrugen. Wie ambivalent können Menschen sein …
Wir sprachen in Auschwitz darüber, was Auschwitz mit uns heute zu tun habe. Mir wurde klar, wie viele verschiedenen Facetten von Schuld auch heute in unserer modernen komfortablen Welt vorhanden sind, denn wir sind heute genau wie die Menschen damals absolut damit einverstanden, dass unser Wohlstand aus Leid anderer Menschen geschaffen wird, solange wir mit besagtem Leid nicht direkt konfrontiert werden. Wir sind in unserer heutigen Gesellschaft nur allzu konform damit, Handys zu nutzen, Autos zu fahren und Computer zu bedienen, deren viele Einzelteile mit Hilfe von Kinder- oder Sklavenarbeit gefertigt wurden. Unsere Komfortzone basiert oft auf dem Leid anderer Menschen.

Eine der wohl eindrucksvollsten Dinge, die ich auf der Fahrt sehen durfte, war das sogenannte „Book of Names“. Ein Buch, welches mehr als 16.000 Seiten fasst, in dem die Namen aller bekannten Opfer des Holocaust in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet sind. Die schiere Größe der Installation zeigt auch schon wieder eindrucksvoll, wie unvorstellbar viele Menschen im Verlauf der Shoah ermordet wurden.

In dem Raum im Block 27 vor dem „Book of Names“ wurde ebenfalls auf eine Gruppe von Opfern aufmerksam gemacht, welche leider viel zu oft vergessen wird. Beim Betreten des Raumes konnte man noch fast glauben, es sei einfach ein leerer Zwischenraum, der nur dazu dient, hindurch zu laufen, um zum nächsten Ausstellungsstück zu kommen. Doch sobald man sich den Wänden näherte, sah man die vielen kleinen Zeichnungen aus Bleistift, welche detailgetreu von überlieferten Kinderzeichnungen auf die Wände übertragen wurden. Es sind die Kinder, welche all das Grauen des Krieges und der Verfolgung miterleben mussten, die oft übersehen werden. Doch die überlebenden Kinder, von welchen auch einige dieser Zeichnungen stammen, haben Auschwitz niemals wirklich ganz verlassen und werden es voraussichtlich auch zu Lebzeiten nicht mehr tun (können).

Nico Antonio Ahrens, Q1b