Leere, Schrecken, Bedrückung – Auschwitz
Aenne Wagener
Als wir alle im Bus saßen, auf dem Weg nach Oświęcim (deutsch: Auschwitz), dachten wir noch, wir wären bereit für das, was uns erwarten würde. Auch als wir aus dem Bus ausstiegen, das umliegende Gelände der Jugendbegegnungsstätte erkundeten und einen Workshop über Auschwitz begannen, hätten wir uns nicht im Entferntesten vorstellen können, was wir am Tag darauf sehen und fühlen würden.
Was mich am meisten geprägt hat auf dieser Fahrt? Oder was mich am meisten berührt hat? Es ist jetzt ungefähr zwei Monate her, dass ich in Auschwitz war, doch ich erinnere mich noch genau an das Gefühl während des Betretens der Lager. Unendliche Leere, Angst und ein die ganze Zeit auf der Brust liegendes Gefühl von Bedrückung. Als wir dann Auschwitz-Birkenau betreten haben, wurde mir fast schon schlecht. Kurze Lichtblicke zwischendurch, als Vögel vorbeiflogen, als man kurz anderes Leben erblicken konnte. War das damals auch so? Als ich einen Vogel vorbeifliegen sah, dachte ich auch über den Begriff Freiheit nach?
Ich konnte erst aufatmen, als wir das Gelände wieder verließen und uns frei von der Gruppe, auch kurz alleine, bewegen konnten und das Gelände der Jugendbegegnungsstätte betraten. Ich erinnere mich noch genau an die Stimmung, an meine Gefühle, wenn wir abends in der Reflexionsrunde saßen und uns angeschwiegen haben. Wir wurden gefragt, ob wir über etwas sprechen wollten oder ob wir etwas anzumerken hätten. Tränen lagen in unseren Augen, Schweigen in der Luft. Manche wollten vielleicht nicht reden, die meisten konnten es auch nicht. Ich konnte nicht reden. Ich konnte einfach nicht in Worte fassen, was ich den Tag über gesehen hatte, ich konnte auch nicht ansatzweise darüber reden, was ich gefühlt hatte.
Ich erinnere mich noch an einen Abend, da kamen wir, glaube ich, von Auschwitz-Birkenau zurück und teilten uns in kleine Gruppen auf, weil es uns leichter fiel, in Kleingruppen unsere Gedanken zu teilen. Meine Gruppe verteilte sich in einem Durchgang, in dem ein Klavier stand. Ich setzte mich auf den Stuhl davor und drückte meine Gefühle in Musik aus. Ich spielte, ohne wirklich darüber nachzudenken, was ich spielte. Sekunden vergingen, Minuten vergingen und ich spielte immer noch. Als ich den letzten Ton gespielt hatte und mich dann umdrehte, hatten manche Zuhörer um mich herum Tränen in den Augen und eine meinte, dass diese Musik genau auf ihre Gefühle zutreffen würde. Wir drückten unsere Gefühle und Gedanken also nicht in einem Gespräch darüber aus, sondern anders – ich suchte mir die Musik als Ventil aus und anscheinend fühlten sich viele ähnlich, wie das, was ich durch meine Musik ausgedrückt hatte.
Mich nahm vieles mit, gedanklich und emotional. Da war das Gefühl von Trauer in den Arbeitslagern, Ekel, nachdem ich am Täter-Workshop teilgenommen hatte und Bedrückung während der Touren. Ich habe durchaus in Auschwitz gelitten, aber zu wissen, dass die Menschen früher, die dort inhaftiert waren, so viel mehr durchmachen mussten, so unendliche Qualen, das hat mich tief tief getroffen.
Und beim Schreiben dieser Absätze, schießen mir immer wieder dieselben Fragen in den Kopf: Was für ein Mensch musste man sein, um seine Mitmenschen so zu behandeln? Was war geschehen, dass so etwas überhaupt passieren konnte? Kein Mensch verdient so behandelt zu werden. Niemand!
Und das, was mir wirklich völlig klar geworden ist, ist, dass wir zwar keine Schuld an dem Holocaust tragen, dass wir aber die Verantwortung haben, dass sich Auschwitz nie wiederholen darf und dass wir unser Wissen über Auschwitz weitergeben müssen.
Aenne Wagener, Q1a