„Ich habe lieber weggeschaut“ - Gedenkstättenfahrt 7. - 14. Oktober 2023

„Ich habe lieber weggeschaut“, so lauteten die Worte eines Kraftfahrers in Auschwitz, der Häftlinge zu medizinischen Versuchen gefahren hat und genau wusste, was mit ihnen geschehen würde. Symbolisch steht dieser Ausspruch für die Ignoranz und das Versagen der vielen direkt oder indirekten Beteiligten, während der Holocaust seinen verheerenden Lauf nahm.

Unsere Reise in diese Vergangenheit war eine zutiefst bewegende und lehrreiche Erfahrung. Die Reise führte uns an einen Ort, der als ein Symbol für eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte steht.

Doch unsere Fahrt zur Gedenkstätte Auschwitz war mehr als „nur“ ein Besuch an einem historischen Ort – es war eine Reise in die tiefsten Abgründe der Menschheit, aber auch ein Versprechen, die Erinnerung an die Opfer des Holocaust am Leben wachzuhalten. 

Auschwitz, der Ort, an dem über eine Million unschuldiger Menschen während des Holocausts ihr Leben ließen. Zu diesem Ort brachte uns die Reise.

Wir alle wussten, was auf uns zukommen würde, doch trotzdem verfolgte uns ein Gefühl der Ungewissheit, der Unsicherheit, ob wir diesem Ort emotional gewachsen sein würden. Mit diesen Ängsten wurden wir nicht alleine gelassen, im Gegenteil, wir wurden auf alles Bevorstehende sehr gut vorbereitet.

Unsere Fahrt begann morgens sehr früh und wir erreichten gegen Mittag unseren ersten Stopp - Berlin. Dort verbrachten wir zwei Tage und beschäftigten uns am ersten Tag intensiv mit dem jüdischen Leben in Berlin auch schon vor der Zeit des Nationalsozialismus und am zweiten Tag beschäftigten wir uns mit den Tätern und mit Berlin während des Nationalsozialismus, sodass auch dieser Aufenthalt uns weiter auf alles Bevorstehende vorbereitete. 

Je mehr wir über die Thematik erfuhren, desto bedrückter wurde natürlich auch die Stimmung in unserer Gruppe. Wir realisierten nun immer mehr, welche Komplexität dieses Thema aufweist und es diese intensive Beschäftigung wirklich benötigt, um ansatzweise zu verstehen, wie diese Taten zustande kamen. Obwohl wir uns so intensiv mit dem Holocaust auseinandersetzten, konnten wir trotzdem nicht wirklich nachvollziehen, wie so viele Menschen zu soviel Grausamkeit in der Lage waren. 

An dem darauffolgenden Tag setzte sich unser Bus in Bewegung und wir fuhren nach Polen, nach Oświęcim, wie Auschwitz eigentlich heißt. Am Abend erreichten wir unser Ziel. Spätestens als das Schild „Oświęcim“ zu lesen war, wurde allen bewusst, dass wir nun wirklich da waren; alle schauten aus dem Fenster und sahen sich die Umgebung ganz genau an. Heutzutage ist Oświęcim ein ganz normaler Ort, wir fahren an Einkaufsläden vorbei, unbeschwerte Menschen gehen durch die Straßen, ein Ort wie jeder andere – oder doch nicht. 

Am nächsten Tag betrachteten wir Oświęcim und seine umliegenden Dörfer genauer und suchten einige sogenannte „stillen Orte“ auf, welche zur damaligen Zeit auch in Verbindung zum Konzentrations- und Vernichtungslager standen, heutzutage aber nicht mehr als Orte des Schreckens zu erkennen sind. Durch den Besuch dieser Orte begannen wir den Komplex „Auschwitz“ besser zu verstehen. Denn hinter Auschwitz steckte so viel mehr, als „nur“ ein Konzentrations- und ein Vernichtungslager. Es gab so viele kleinere Orte im sogenannten Interessengebiet, einem Sperrgebiet, das ca. 40 Quadratkilometer groß war und das zu Auschwitz und seiner Tötungsmaschinerie gehört hat. 

Am Nachmittag war es dann so weit, wir besuchten das Stammlager Auschwitz I. 

Als wir das ehemalige Konzentrationslager und heutige Gedenkstätte erreichten, empfing uns eine Kälte, die sich tief in unsere Knochen grub. Aber die Kälte, die wir dort spürten, ging weit über das Wetter hinaus. Sie war eine Erinnerung an die Kälte der Herzen derjenigen, die in Auschwitz vor Jahrzehnten geherrscht hatten. Es war schwer vorstellbar, dass an diesem Ort vor nicht allzu langer Zeit unschuldige Menschen gelitten hatten und gestorben waren.

Der Rundgang begann schließlich und wir standen vor dem berüchtigten Tor von Auschwitz. "Arbeit macht frei" stand in eisernen Buchstaben geschrieben, und dieser zynische Schriftzug hallte in unseren Köpfen. Wir gingen durch die verfallenen Baracken, in denen die Gefangenen unter unmenschlichsten Bedingungen leben mussten. Die Überreste von Schuhen, Brillen und Haaren der Opfer waren stumme Zeugen des Grauens, welches hier stattgefunden hatte. Dieser Moment war für die meisten der Emotionalste der ganzen Fahrt; es führte vor Augen, wie real das Ganze leider war. Die Gegenstände der ehemaligen Häftlinge, die in den verschiedenen Ausstellungen zu sehen waren, berührten uns sehr, ebenso die vielen Portraitfotos der Häftlinge, die auf den langen Gängen einzelner Blocks ausgestellt waren. Das Grauen war nicht mehr weit weg, es fühlte sich so nah an - unser Bild von dem Ort, wo so viele unschuldige Menschen leben und sterben mussten, wurde immer konkreter.

Aber das Emotionale an diesem Besuch waren nicht nur die physischen Überreste, sondern auch die Geschichten, die uns von unserem Guide erzählt wurden. Die Geschichten von Menschen, die ihre Familien und ihre Zukunft verloren hatten. Die Geschichten von Heldinnen und Helden, die trotz des Grauens ihre Menschlichkeit bewahrten und anderen halfen. Die Geschichten von Überlebenden, die es geschafft hatten, gegen alle Widrigkeiten zu überleben und damit Zeugen dieser schrecklichen Geschichte zu werden. 

An diese Menschen versuchen wir auch heute noch zu erinnern. Wir, die Teilnehmer der Fahrt, haben uns intensiv mit Familien aus Lübeck beschäftigt, welche Opfer des damaligen NS-Regimes wurden und Briefe für sie verfasst. Diese Briefe haben wir in Auschwitz während unserer kleinen Gedenkfeier verlesen und wir haben Blumen für sie und für die vielen unzählbaren Toten niedergelegt. 

Auschwitz wird immer ein dunkler Fleck in der Geschichte bleiben. Auschwitz warnt uns vor dem, wozu Menschen in der Lage sind anderen Menschen anzutun. Fraglos wird unser Besuch dort uns für immer daran erinnern, wie wichtig es ist, für Toleranz, Mitgefühl und Menschlichkeit einzustehen. Auschwitz war ein Ort des Leidens, aber es kann auch ein Ort des Lernens und der Erinnerung sein, damit wir niemals vergessen, wohin Hass und Intoleranz führen können.

Der Besuch war eine Mahnung – er zeigte uns, dass in Menschen auch sehr viel Böses schlummern kann. Er war ein Aufruf, niemals die Augen vor den Gräueltaten der Vergangenheit und der Zukunft zu verschließen, niemals wieder wegzusehen, nicht so handeln, wie der Kraftfahrer in Auschwitz es ausdrückte: „Ich habe lieber weggeschaut“. Denn welche Folgen das Wegschauen haben kann, sollte nun allen ausnahmslos bewusst geworden sein. Wir tragen die Verantwortung für die Zukunft, diese Geschichte und ihre vielen Opfer nie zu vergessen und müssen sicherstellen, dass sich diese Taten nie wieder wiederholen; nie wieder dürfen wir sagen: „Ich habe lieber weggeschaut!“

Malisa, Q1

 

Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz 7. - 14. Oktober 2023

 

Seit einigen Jahren bitten wir die Teilnehmer*innen für die Menschen aus Lübeck, die nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden, fiktive Briefe zu schreiben. Einige dieser Briefe werden dann von ihnen an der Grundresten der provisorischen Gaskammer des Roten Hauses in einer kleinen Gedenkfeier verlesen. Anschließend legen wir dort Blumen und von der Ostsee mitgebrachte Steine an dem Ort nieder, an dem Hanna und Hermann Mecklenburg ermordet wurden. In diesem Jahr haben wir die Briefe für die Homepage zusammengestellt.  

 

 

Lieber James Lissauer,

Lieber Hermann Rosenstein,

Lieber Hermann Mecklenburg,

Lieber Aron Adolf Emmering,

Liebe Therese Mecklenburg,

Liebe Martha Bertha Hindel,

Liebe Lisa,

Liebe Jürris Elsa Strawczynski,

Liebe Hanna Mecklenburg,

Liebe Frieda Bär,

Liebe Frau Betty Emmering,

Liebe Elsa Strawczynski,

 

 

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